Krank werden oder gesund bleiben? Darauf haben viel mehr Dinge Einfluss als Bakterien und Viren: Gefühle, Denkbilder, Stress, soziales Erleben, Krisen – eigentlich das ganze Leben. Das Immunsystem ist extrem vernetzt. Die Psychoneuro-immunologie erforscht, was dabei geschieht. Walter Roth Eigentlich wissen wir es aus Erfahrung Hausärzte und andere Gesundheits-Fachpersonen, aber auch Patientinnen und Patienten, die genauer hinschauen, sind ständig mit diesem Phänomen konfrontiert. Überlastung und Zoff am Arbeitsplatz, Angst vor Jobverlust, Familien- und Beziehungsstress, Verlust des Partners, Vereinsamung im Alter – solche Situationen machen Menschen anfälliger für Krankheiten und Beschwerden aller Art. Begeisterung für eine tolle Aufgabe, Getragen sein in einem warmen sozialen Netz, in einem super Team mitwirken, das Wissen «ich werde hier und für diese Menschen unbedingt gebraucht» erhalten hingegen Menschen kerngesund, obwohl rundherum alle ins Bett sinken, oder sie lassen Alterserscheinung für lange Jahre nie zum Problem werden. Gesund bleiben oder krank werden ist in vieler Hinsicht mit unserem Fühlen, Denken und Erleben verknüpft. Psychoneuroimmunologie erforscht die Zusammenhänge Eine relativ junge Wissenschaft, die Psychoneuroimmunologie, erforscht als interdisziplinäres Forschungsfeld diese Zusammenhänge und liefert dabei immer neue erstaunliche Erkenntnisse und Nachweise. Sie befasst sich vor allem mit den Wechselwirkungen zwischen Nervensystem, Hormonsystem und Immunsystem. Eine ihrer Grund-Erkenntnisse ist, dass diese Systeme mittels Botenstoffen aufeinander «hören» und sich gegenseitig beeinflussen. Schnittstellen dieser Vorgänge und Regelkreise sind das Gehirn mit der Hirnanhangdrüse, die Nebennieren und die Immunzellen. So besitzen Botenstoffe wie zum Beispiel die Neuropeptide die Eigenschaft, an Immunzellen anzudocken und ihnen Botschaften zu übermitteln. Oder sie können die Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung von Fresszellen, den sogenannten Makrophagen, verändern. Schwerpunkte dieses Forschens sind auch das Entstehen von Krebs und altersbedingter Demenz. Immunschädling erster Güte: Stress Eins zeigen auch diese Forschungen mit aller Deutlichkeit: Negativer, belastender Stress, vor allem, wenn er chronisch wird, ist Gift für das Immunsystem. «Der häufigste und wichtigste Faktor ist hier chronischer Stress» meint dazu Dr. Thorsten Mikoteit, Oberarzt Psychiatrie am Unispital Basel. «Wenn im Körper dauernd Noradrenalin und vor allem Cortisol ausgeschüttet werden, stehen wir quasi dauernd unter Alarmzustand, angespannt und bereit, zu kämpfen oder zu flüchten. Heute heisst das wohl eher, schwierige soziale oder Arbeits-Situationen zu überstehen. Ein über längere Zeit erhöhter Cortisol-Spiegel kann zu Angstzuständen, depressiven Verstimmungen, ja Depressionen führen. Und das wiederum macht uns anfälliger für Herz-/Kreislaufbeschwerden, Bluthochdruck, Diabetes, Entzündungen oder Infektionskrankheiten.» In der Immunologie wird das als «Open-Window-Phänomen» bezeichnet. Krankheitserreger und –Auslöser finden quasi offene Türen, weil das geschwächte Immunsystem sie nicht mehr ausreichend abwehren oder zerstören kann. «Ein typisches und häufiges Beispiel sind Fieberbläschen an den Lippen» so Dr. Mikoteit . «Sie werden verursacht von Herpes-Viren, und treten meist während oder nach stressigen Phasen auf und verschwinden wieder, sobald sich unser Cortisol-Spiegel wieder normalisiert.» Wenn das Immunsystem selber krank macht Geschwächte Immunfunktionen können aber nicht nur Krankheiten «einlassen», sondern auch selber krank machen. Wenn nämlich das Immunsystem überreagiert und sich gegen den eigenen Organismus wendet. Daraus entstehen die immer stärker verbreiteten Auto-Immunkrankheiten. Dazu gehören viele Formen von Allergien, entzündliche Nervenerkrankungen bis hin zu Multiplen Sklerose und Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis, viele Formen von Rheuma, zum Beispiel die entzündliche rheumatoide Arthritis, ja teilweise sogar die Arteriosklerose. Es zeigt sich, dass zum Beispiel eine extrem egozentrische und rücksichtslose Einstellung gegenüber dem Leben und den Mitmenschen solche Autoimmunstörungen begünstigt. Naturheilkunde hat hier eine wichtige Aufgabe Auch die Aussage, dass viele natürliche Heilmittel die Selbstheilungskräfte des Körpers, also das Immunsystem, sanft aber wirksam unterstützen, ist nicht aus der Luft gegriffen. Sie vermögen offenbar mit dem Körper vertrauten Botschaften diese empfindlichen Regelkreise zwischen Fühlen, Denken, Erleben und Gesundbleiben heilsam zu moderieren und zu regulieren. Das Immunsystem balanciert ständig auf einem schmalen Grat zwischen kraftvoller, gesund machender Abwehr und Selbstzerstörung. Auf dieser Ebene ist offenbar das Wirken von Spagyrik, Homöopathie, Schüssler-Salzen, Spenglersanen und so weiter mit ihren energetischen Wirkkräften angesiedelt. Achtung: Beeinflussungs-Möglichkeiten nicht überschätzen! Trotz all dieser spannenden Erkenntnisse ist aber auch Vorsicht und eine gewisse Demut geboten. Allzu leicht verfallen wir sonst einem «Gesundheits-Machbarkeitswahn». »Wer im Leben alles richtig macht, wird nie krank!» oder gar «wer krank wird und Krebs oder Alzheimer bekommt, ist eigentlich selber schuld!» Solche Kurzschlüsse sind grundfalsch und unrealistisch. Gewiss haben wir Einflussmöglichkeiten. «Etwas vom Sinnvollsten ist sicher, Wege zu finden um mit chronischem Stress besser umzugehen oder die auslösenden Situationen zu verändern,» meint Dr. Mikoteit dazu, «zum Beispiel durch regelmässigen Ausdauersport, Entspannungstechniken, Yoga und so weiter, die uns zu mehr Gelassenheit und Zentriertheit hin führen.» Aber letztlich dürfen wir nicht vergessen: In vielen Fällen ist Krankheit auch Schicksal. Kein Leben ist frei von Tiefschlägen, schweren Zeiten und bedrückenden Situationen. Und viele schaffen es einfach nie zu einem gesünderen Verhalten. Natur- und Schulmedizin können schützen, erleichtern, lindern, reparieren – aber nicht immer und nicht ganz alles! (Beitrag für Gesundheitsmagazin DROPA Balance 12/2010 |